Energie

Dass unser Ohr die Funktion des Hörens hat, ist bekannt. Diese Funktion wurde aber in der Phylogenese (unserer Entstehungsgeschichte) wie auch Ontogenese (unserer Entstehungsgeschichte im Mutterleib) am spätesten angelegt. Eine noch wichtigere und auch früher angelegte Funktion unseres Ohres ist die des Gleichgewichtes in doppeltem Sinn – des motorischen (körperlichen) Gleichgewichtes und die des vegetativen Gleichgewichtes.

Unser Gleichgewichtsorgan

Das »Gleichgewichtsorgan« oder »Vestibulum«, ein Teil unseres Innenohres hat jeden Muskel des Körpers unter seiner Kontrolle. Jeder Muskel steht über das Rückenmark mit dem Nerv des Gleichgewichtsorgans, der sich mit dem Nerv des Hörorgans zum Nervus vestibulo-cochlearis (stato-acusticus) vereint, in Verbindung. Somit sitzt unser »Körpergefühl« im Ohr: Verteilung von Spannungen im Körper, Verkrampfung oder Schlaffheit, Muskeltonus, Haltung, Motorik und Feinmotorik werden durch das Ohr als Kontrollorgan reguliert. Man spricht von einem kybernetischen Regelkreis: Hirn (Befehl) – Muskel (Ausführung) – Ohr (Kontrolle) – Hirn (Korrektur des Befehls).

Darum nützt es so wenig, wenn Eltern sich aufregen und immer wieder ihr Kind ermahnen, gerade zu sitzen: Solange das Ohr nicht auf natürliche Weise für eine gute Haltung sorgt, fühlt sich das Kind – und genauso der Erwachsene – mit geradem Rücken unbequem, überanstrengt. Es sinkt in sich zusammen, sobald es vergisst, die Haltung bewusst zu kontrollieren.
Nach den Funktionen des Hörens und der Gleichgewichtsregulation hat aber das Ohr eine noch entscheidend wichtigere Funktion, die vor den Funktionen des Hörens und der Gleichgewichtsregulation vollständig ausgereift ist – und das bereits in der 20. Schwangerschaftswoche – die Funktion der energetischen Aufladung unserer Großhirnrinde.

Das Ohr als Energiezentrale

Das Cortische Organ ist die Stelle in unserem Innenohr, wo akustische Impulse in elektrische Impulse umgewandelt werden, um danach über Nervenbahnen in unser Bewusstsein, in die Großhirnrinde zu gelangen. Auf jeder der etwa 20.000 Sinneszellen, den sogenannten »Cortizellen« befindet sich ein Büschel Zilien, etwa 50-100 an der Zahl. Die Zilien sind es, die nach Tomatis hochfrequente Töne decodieren und damit unser Gehirn mit lebenswichtiger »neuronaler« Energie versorgen.

„Dank dieser Aktivität können Töne das gesamte Hörsystem aufladen“ (Alfred Tomatis).

In der Schnecke (Cochlea), dem Hörorgan des Innenohrs, befinden sich im Bereich der Wahrnehmung hoher Frequenzen viel mehr Sinneszellen als im Bereich der tiefen. Hohe Frequenzen setzen sich somit in eine unverhältnismäßig größere Zahl von Impulsen um, die eine wahre Aufladung, eine Belebung der kortikalen Tätigkeit bewirken (im EEG sichtbar). Das bedeutet Bewusstsein, Denkfähigkeit, Gedächtnis, Wille usw. – kurz: geistige Wachheit, aber auch Vitalität und Kreativität.

Eine gute Wahrnehmung der hohen Frequenzen ist also notwendig, damit das Ohr seine primäre Aufgabe – die Hirnrinde mit Energie zu versorgen – erfüllen kann. Darum wirkt das Hörtraining auch psychotherapeutisch: Durch das gestärkte Bewusstsein – deutlich vom rein intellektuellen Wissen zu unterscheiden – werden Probleme zwar nicht beseitigt, aber in ihrer eigentlichen Dimension gesehen, in die richtige Distanz gerückt.